
Totalprothetik im 21. Jahrhundert: Akzeptanz, Lebensqualität, Perspektiven
Ist Totalprothetik ein aussterbendes Thema, oder bleibt sie auch künftig relevant? Wie steht es um die Akzeptanz von Totalprothesen seitens der Patienten? Und wie lassen sich künftige Zahnmediziner für die Totalprothetik begeistern? Erfahren Sie in diesem Interview, was ein junger Zahnmediziner zu diesem Thema zu sagen hat.
Interview mit Dr. Johannes A. Müller (Basel/Schweiz) zum Thema abnehmbarer Zahnersatz
Herr Dr. Müller, wie relevant ist die abnehmbare Prothetik heute – und wie relevant wird sie Ihrer Einschätzung nach für künftige Zahnarztgenerationen sein?
Dr. Müller: In Zukunft werden vermehrt prothetische Versorgungen nötig sein, weil bekanntlich die Lebenserwartung in vielen Ländern gestiegen ist bzw. weiter steigen wird und der Zahnerhalt dank der Prävention bis ins hohe Alter möglich ist. Eine Versorgung mit abnehmbarem Zahnersatz kann für Patienten höheren Alters eine gute Versorgungsart darstellen, z. B. weil abnehmbare Prothesen leichter zu reinigen sind.
Wie sieht es mit der Akzeptanz seitens der Patienten aus?
Dr. Müller: Patienten fällt es erwiesenermassen leichter, sich an einen festsitzenden als an einen abnehmbaren Zahnersatz zu gewöhnen. Nicht immer ist es aber möglich, Patienten mit festsitzendem Zahnersatz zu versorgen. Dies kann finanzielle, aber auch allgemeinmedizinische Gründe haben – zum Beispiel, weil es aus allgemeinmedizinischen Gründen nicht möglich ist, Implantate zu setzen. Die Versorgung mit abnehmbaren Rekonstruktionen ist daher zum jetzigen Zeitpunkt nach wie vor ein wichtiger Aspekt, um vielen Patienten eine gute Therapie bieten zu können.
Inwiefern beeinflusst die Qualität eines abnehmbaren Zahnersatzes die Lebensqualität eines Patienten? Gibt es hierbei Unterschiede zwischen einer Standardversorgung und einer individuellen Versorgung?
Dr. Müller: Viele Patienten schätzen besonders jene Versorgungen, bei denen der Gaumen entweder gar nicht oder nur teilweise abgedeckt ist. Diese Rekonstruktionen fühlen sich nicht wie Prothesen an und beeinträchtigen die geschmackliche Wahrnehmung nicht. Ebenfalls geschätzt sind ästhetische Lösungen, bei denen die Halteelemente – insbesondere Metallklammern – nicht zu sehen sind. Zusammenfassend fühlen sich also Patienten am wohlsten mit Lösungen, die sich möglichst wenig wie Prothesen anfühlen und die von der Umgebung nicht als Zahnersatz wahrgenommen werden. Diese hochqualitativen und hochästhetischen Versorgungen mit verdeckten Halteelementen (Adhäsivattachment, Teleskop, Wurzelstiftkappe) bieten für viele Patienten eine hohe Lebensqualität.
Welche Verbesserungen sind in der abnehmbaren Prothetik Ihrer Ansicht nach noch möglich?
Dr. Müller: Im Hinblick auf Materialien und Techniken sind wir heute schon sehr weit und werden künftig mit neuen Verfahren – z. B. Metalldruck – noch weitere Verbesserungen im Herstellungsprozess erzielen können. Handlungsbedarf sehe ich bei der Schulung der Behandler – damit sie die ganze Palette der Möglichkeiten kennen und diese auch anwenden können. Und damit sie für jeden Fall die richtige Versorgung bereitstellen können.
Potenzial für Verbesserungen sehe ich auch bei der Nachsorge. Eine abnehmbare Prothese lebt von der Nachsorge. Ihre Haltbarkeit verkürzt sich, wenn sie nicht sachgerecht gepflegt und gereinigt wird. Deshalb braucht es erfahrene Behandler mit einem breiten Behandlungsspektrum und einer guten Vernetzung mit anderen Medizinern, um ältere, allgemeinmedizinisch eingeschränkte Patienten umfassend versorgen zu können. Ausserdem braucht es eine noch bessere Ausbildung auch der Pflegekräfte und der privaten Betreuungspersonen. Dies schliesst eine psychologische Ausbildung für die Betreuung dementer Patienten ein. Da geht es vor allem um folgende Fragen:
- Wie spreche ich Patienten an?
- Wie motiviere ich sie zur Zusammenarbeit?
- Wie führe ich sie richtig?
- Wie überzeuge ich sie, bei der Mundhygiene mitzumachen?
Gerade mobilitätseingeschränkte Patienten in Pflegeheimen sind diesbezüglich leider häufig noch unterversorgt.
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Wie begeistern Sie Ihre Studierenden für abnehmbare Prothetik? Ist dies überhaupt notwendig oder ist das Interesse bereits vorhanden?
Dr. Müller: Wir begeistern die Studenten theoretisch und praktisch. Einerseits vermitteln wir ihnen das theoretische Wissen rund um die abnehmbare Prothetik. Wir zeigen ihnen in unseren Vorlesungen sehr detailliert, dass es eine Vielzahl von Möglichkeiten gibt und nicht nur die herkömmliche Total- und Modellgussprothese.
In Phantomkursen haben die Studierenden die Möglichkeit, abnehmbare Arbeiten einschliesslich der Wurzelstiftkappe und dem direkten Chairside-Halteelement selbst herzustellen. Daran haben sie viel Freude, was auch die Resultate zeigen.
Im ersten und zweiten Masterstudienjahr versorgen die Studierenden dann in der Ausbildungsklinik Patienten mit abnehmbaren Versorgungen. Wenn die Arbeiten fertig und die Patienten begeistert sind, wirkt das sehr motivierend.
Ist es Ihrer Meinung nach wünschenswert, dass auch ausserhalb der Uni Kurse angeboten werden, an denen man als Behandler alle Schritte am Patienten üben kann?
Dr. Müller: Grundsätzlich ist es für alle Behandler von Vorteil, solche Kurse mit Hands-on-Übungen oder Live-Patienten durchzuführen.
Zur Person:Dr. Johannes A. Müller ist Zahnarzt in der Abteilung für Rekonstruktive Zahnmedizin am Universitären Zentrum für Zahnmedizin (UZB) Basel/Schweiz.
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